Murphy bei der Serverinstallation

10:30 Uhr. Ein mittelständisches Unternehmen. Meine Mission: Einen neu gelieferten 4×-Quad-Core-K10-Opteron aufsetzen. Betriebssystem: Gentoo Linux.

Nach kurzem Briefing stehen der Geschäftsführer Herr X (Name von der Red. geändert) und ich im Serverraum. Da ein passender Adapter für den ins Rack eingebaute KVM noch nicht geliefert wurde, improvisieren wir ein TFT-Display und eine USB-Tastatur an die Kiste und platzieren beides auf zwei übereinander gestapelte große Kartons mit Aufschrift DELL. Der Server wird eingeschaltet, das eingebaute CD-ROM-Laufwerk geöffnet und die CD mit der Beschriftung Gentoo 2008.0 AMD64 Minimal eingelegt. Bei der Gelegenheit verpassen wir die Chance, F11 für das Bootmenü zu drücken, was uns der Rechner nach einigen Sekunden mit There is currently no operating system installed quittiert. Strg-Alt-Entf. Reboot.

Diesmal drücke ich F11 und wähle das CD-Laufwerk. Das ISOLinux-Menü der Live-CD erscheint, ich drücke einfach Return, um die CD ganz normal zu booten. Der Kernel lädt, haufenweise Text huscht über den Bildschirm in grusliger Menge und Geschwindigkeit. Alles ganz normal. Dann bleiben die Meldungen abrupt stehen. could not find the root block device. Nicht normal. Ich möge doch bitte das Device zum CD-ROM-Laufwerk angeben oder mir mit shell eine Shell erbitten.

Hm. Was war passiert? Nun, das Kernelimage wird noch vom BIOS bereitgestellt (man korrigiere mich, zumindest macht das noch ISOLinux ohne Bedarf an irgendwelchen Treibern). Sobald der Kernel aber läuft, muss er auf das Laufwerk mit seinen eigenen Treibern zugreifen. Und dafür hatte er offenbar keine passenden.

Okay, zweiter Versuch: Knoppix. (Ja, das ist für 32-Bit-Systeme. Nein, ich hatte nichts besseres dabei. Ja, das ist Dummheit.) Bootloader kommt, danach wird der Bildschirm schwarz und nichts passiert mehr. Schlecht.

Also Notebook raus und Google anwerfen. Welches Kernelmodul brauche ich, damit dieses verdammte Laufwerk funktioniert? Kann ich irgendwelche Bootparameter übergeben, die mich retten? (Immerhin steht Herr X immer noch neben mir.) Aber Google erzählt mir nichts brauchbares, nur einen Bugreport, dessen vorgeschlagener Workaround (iso9660 in die /etc/filesystems) aber nicht hilft. Da fragt mich Herr X: Könnte man nicht einfach von USB booten?

Hm, gute Idee. Mal abgesehen davon, dass ich das noch nie gemacht habe. Aber es ist die sinnvollste Alternative. Er gibt mir seinen USB-Stick (Ist da auch nichts wichtiges drauf? – Der ist leer.), und ich öffne die Anleitung zum Erstellen eines Gentoo-Bootsticks.

Aha. Man braucht ein Linuxsystem, um den Stick vorzubereiten. Na gut, wir stehen hier immerhin im Serverraum. Der enthält zwar nur ein einzelnes Rack mit Maschinen, und nicht auf allen läuft Linux, aber immerhin.

Erster Versuch: Der momentane Webserver. Hat aber kein USB-Loch. Entfällt also.

Zweiter Versuch: Ein anderer Server. Hat ein (ziemlich verstaubtes) USB-Loch, in das ich den Stick stecke. Logge mich ein. dmesg. Hm. Nichts über den Stick. ls /dev/sd<Tab><Tab>. Nichts. lsmod? Oha: Nichts. Also ein Kernel ohne Modulunterstützung, der keinen USB-Support hat. Gentoo und Admin-Minimalismus for the win.

Uns gehen die Maschinen aus. Also schlage ich vor, irgendein Notebook mit einer meiner Live-CDs zu booten. Aber nichts meins, denn es ist ein X60s und hat kein optisches Laufwerk. Also geht Herr X kurz raus und kommt mit einem Dell-Notebook designed for Windows 98 und fehlenden und zersplitterten Tasten wieder. Mein erstes, sagt er und steckt eine PS/2-Tastatur in eins der Löcher auf der Rückseite, die Tastatur geht nicht mehr.

Wir legen die Knoppix-CD ein und booten. Es dauert Ewigkeiten, weil weder der Rechner noch das Laufwerk mit Geschwindigkeitsrausch-Ambitionen gesegnet sind. Also versuche ich nochmal, den Server irgendwie zum Starten zu bringen. Erfolglos. Nach ein paar Minuten sehe ich auf das halbtote Greisennotebook und stelle fest: Der Bildschirm ist schwarz. Herr X rührt am Touchpad, keine Reaktion. Schon okay, sage ich, der wird noch nen Moment brauchen. Schließlich muss er ja erst mal KDE von der CD aus starten.

Ne halbe Minute später. Es tut sich immer noch nichts, und zu meinem Schrecken stelle ich fest, dass auch die Aktivitätsleuchte am CD-ROM erloschen ist. Okay. Mag X vielleicht nicht? Strg-Alt-F1. Strg-Alt-F1. Nichts passiert. Ich fluche innerlich, aber da fällt mir plötzlich etwas ein.

Ich drücke Strg-Alt-F1 auf der externen Tastatur. Eine Konsole erscheint.

Okay, hübsch. Also den USB-Stick einstecken und formatieren. Und jetzt die Dateien von der Gentoo-CD draufkopieren.

Äh.

In dem Moment fällt mir ein, dass das CD-ROM-Laufwerk bereits belegt ist und ich die CD natürlich auch nicht rausnehmen kann, weil da ja das System von läuft. Na gut. Dann nehm ich eben den USB-Stick und kopier die ISO-Datei drauf, denn die liegt ja noch auf meinem Notebook. Oder, äh, Moment. Tut sie nicht. Hab sie nämlich bereits ordentlich im Archiv für Linux-ISOs abgelegt. Auf der externen Festplatte. Daheim.

Wir entschließen uns, auf einer Windows-Kiste das Gentoo-ISO runterzuladen und auf den USB-Stick zu schieben. Klappt einwandfrei. Dann Stick wieder ans Notebook, mounten und die ISO auf die RAM-Disk schieben. Per Loopback die ISO mounten und die Dateien rüberkopieren. Oha, USB 2.0 gab's damals noch nicht. Also etwas warten.

Dann irgendwann ist der Stick fertig. Abziehen, in den Server einlegen, neu starten. Bootmenü. "Von USB starten". Warten.

Fehlermeldung.

There is currently no operating system installed. Okay, anscheinend frisst er den USB-Stick nicht. WAAAAAH.

Und das ist der Moment, in dem der akkurat gekleidete, dynamische Geschäftsführer dem geekigen Hacker plötzlich eine Lektion erteilt. Könnte man nicht von CD booten und dann, wenn er das CD-ROM nicht findet, auf den USB-Stick zugreifen lassen? Bam! You have been pwned.

Naja, was soll ich noch groß sagen. Von CD gebootet, Gentoo hat sogar ohne Zutun die Files auf dem Stick entdeckt und geladen und ist anstandslos hochgefahren. Das Booten der Live-CD hat somit insgesamt ca. anderthalb Stunden in Anspruch genommen.

Und ja, dies ist eine wahre Geschichte.

Erstellt: 19. 10. 2008, 12:13:13 (CEST)
Geändert: 20. 10. 2008, 21:47:46 (CEST)
Tags: German Murphy Server wahre Geschichte Anekdote Fun
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